Heimat-Front (2007)

Süddeutschland im März 1945. Die Front rückt immer näher. In einem Dorf/kleinen Städtchen führt die verheiratete Eva einen größeren Bauernhof. Evas Mann Walter und ihr Sohn sind im Krieg, die Arbeit auf dem Hof bewältigt sie zusammen mit ihren Kindern, ihrer Schwiegertochter, einer Magd und einem polnischer Zwangsarbeiter. Da quartiert sich eine Einheit der Waffen-SS bei ihr ein, was außer dem etwas einfältigen NSDAP-Ortsgruppenleiter niemanden erfreut. Als dann Evas desertierter Mann plötzlich vor ihr steht, weicht ihre Freude schnell großer Angst. Denn wird Walter entdeckt, droht ihm der Tod.

Seine Anwesenheit kann verheimlicht werden, bis es eines Tages zu einer Auseinandersetzung zwischen einem SS-Offizier einerseits und der Magd und dem polnischen Zwangsarbeiter andererseits kommt. Um beide zu retten, gibt Walter seine Tarnung auf – und wird vors Standgericht gestellt.

Das Volksstück zeigt anhand einzelner Schicksale die Nöte, Zwänge, Hoffnungen und das Leid der Menschen, die im März 1945 an der „Heimatfront“ von der Kriegsfurie überrollt werden. Gleichzeitig stellt das Stück Frage nach der Verantwortung des einzelnen in einer gleichgeschalteten Gesellschaft, in der das Wegsehen, die Verdrängung und der blinde Gehorsam zu bestimmenden Lebenseinstellungen wurden.


Darsteller: 25 (12 w/13 m), plus Statisten

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Die Presse schrieb:

Ein Dorf im Ausnahmezustand

Theaterverein Reinsbronner Bühnenzinnober spielt Anti-Kriegsstück “Heimatfront”

Reinsbronn. Aus dem Schrecken der letzten Kriegstage wächst neues Leben. Packend stellt das der Mundartautor Arno Boas aus Finsterlohr in seinem neuen Theaterstück “Heimatfront” dar. Am Wochenende war Premiere im Geyer-Schloss beim Theaterverein “Reinsbronner Bühnen-Zinnober”. Ein durch und durch ernster Stoff und doch ein heiterer Abend im malerischen Innenhof eines alten Schlösschens – das gibt es vermutlich nicht allzu oft. Wer es schätzt, mitten im Geschehen zu sitzen und die Handlung “hautnah” zu erleben, der sollte sich aufmachen zur “Heimatfront”. Spannung, Betroffenheit und auch Spaß sind garantiert. Mutig greift Arno Boas diesmal ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte auf: Er “be-schreibt” im wahrsten Sinn des Wortes ideologische Verwirrungen und menschliche Verwicklungen, aber ohne moralisierenden Zeigefinger.

Für den Zuschauer bleibt es nicht beim Blick in die Vergangenheit, denn Typen treten auf, wie es sie damals gab und immer wieder geben wird, auch 2007. Es ist ein Stück mit Menschen von nebenan. Dass sie in der Extremsituation eines Volkes mit diktatorischer Regierung und der Illusion des “Endsiegs” leben und agieren, das verschärft ihre Konturen. Zugleich hat der Autor sein neuestes Werk in Hohenloher Mundart ganz bewusst als Anti-Kriegs-Stück geschrieben, denn “Krieg bedeutet immer nur Elend”, wie er den Fränkischen Nachrichten gegenüber betonte. Das Geyer-Schlösschen, das die Familie Mack der Reinsbronner Theatergruppe jetzt zum dritten Mal zur Verfügung stellte, sei wie geschaffen als Kulisse. Ländlich ist das Ambiente im alten Gemäuer: der alte Brunnen mitten im Innenhof direkt vor den Zuschauerreihen, Tore zu Stall und Keller, darüber die Altane mit den herrschaftlichen Räumen. Nur zwei kleine Podeste zusätzlich, mehr braucht es nicht für die Auftritte der rund 30 Hobbyschauspieler zwischen zwölf und 80 Jahren. Was Arno Boas nach eigener Aussage in wenigen Tagen niedergeschrieben hat, ist keine historische Begebenheit. Es könnte sich an vielen Orten der Gegend im Frühjahr 1945 so zugetragen haben. “Ja, so war’s auch”, murmelten etliche der älteren Besucher, die diese Zeit noch bewusst erlebt haben – damals als Kinder oder Jugendliche. Und die junge Generation bekam das, was sie bisher nur aus Opas Erzählungen kannte, höchst spannend serviert. Auch in seinem 21. Theaterstück versteht es der Autor aus Finsterlohr meisterhaft, eine ernsthafte Thematik mit Situationskomik und Wortwitz zu spicken. Er zeichnet seine Charaktere mit spitzer und zugleich feiner Feder und immer wieder haben die Zuschauer auch etwas zum Lachen. Wo der hintergründige Spott über die Werte der nationalsozialistischen Ideologie allerdings offen zutage tritt, stockt einem der Atem. Immerhin waren die Fanatiker, die noch auf den Einsatz der Wunderwaffen Hitlers hofften, mit dem Vorwurf der “Wehrkraftzersetzung” schnell bei der Hand – und das konnte einem das Leben kosten.

Die Früchte professioneller Regie sind auch bei der “Heimatfront” sehr deutlich zu spüren. David Winkenstern inszeniert flott und mit kreativen Einfällen. Als Schauspieler, der dieses “Handwerk” von der Pike auf gelernt hat, steigerte er die darstellerischen Möglichkeiten der Laienspieler – gerade auch der jugendlichen – in beachtlicher Weise. Licht- und Tontechnik, Maskenbildnerinnen und Souffleusen und die anderen Mitarbeiter im Hintergrund agierten wie gewohnt als perfekt eingespieltes Team. Kein Wunder, dass am Ende der Aufführungen lang anhaltender Beifall aufbrandet. Auch wenn die Amerikaner bedrohlich näher gerückt sind und feindliche Bomber über die Häuser donnern, muss der Alltag weitergehen. Die Spannungen im Dorf werden unerträglich. Zwei Hauptfiguren stehen sich als Antipoden gegenüber: Die Bäuerin Eva, die an die Propaganda vom Endsieg nicht mehr glauben kann, wird von Monika Kreiselmeier facettenreich in Szene gesetzt. Edgar Habel verkörpert perfekt und mit sichtlicher Spielfreude die Rolle des Ortsgruppenleiters Hermann. Evas Kinder geraten mehr und mehr zwischen die Fronten – ohne eigenes Zutun: In der Rolle der pubertären Pauline bewältigt Madelaine Boas hohe Anforderungen. Sie muss schon Verantwortung übernehmen als Hilfslehrerin und träumt sich gleichzeitig weit weg als Flakhelferin bei strammen Soldaten.

Der Sohn Heinrich (Micha Habel) gerät aus seiner Bahn, als er vom Tod seines großen Bruders erfährt. Die Heimkehr des desertierten Ehemanns Walter (Ulrich Pfänder) und die Zuneigung der Magd Luise (Carmen Hess) zum polnischen Zwangsarbeiter Andrej (dessen erzwungene Unterwürfigkeit Jochen Heppel in Bewegung und Sprache geschickt darstellt) bringen zusätzlichen Zündstoff ins Dorf. Evas Schwiegertochter Emma ist eine glühende Vertreterin der Endsieg-Ideologie. Eindrucksvoll realisiert Silke Herschlein das Schicksal einer jungen Frau, deren festgefahrenes Weltbild an einer Todesnachricht zerbricht. Verene Schiebold stellt die Nachbarin Erika als unkritische Mitläuferin überzeugend dar. Die Kinder im Dorf wissen in diesen wirren Zeiten nicht mehr so recht, ob sie nun eher Schüler oder aber kriegsbegeisterte Hitlerjungen oder BDM-Mädchen sind. Lehrerin Hildegard (Birgit Beck) hat mit ihnen, darunter auch Kinder aus dem Rheinland, jedenfalls ihre liebe Not. Die Gruppe von zehn Jung-Schauspielern, von David Winkenstern in der Jugend-Theatergruppe ausgebildet, versteht es eindrucksvoll, das Lebensgefühl dieser Tage widerzugeben. Zu sehen sind Simon Meder, Jonas und Daniel Wolfarth, Julian Markert, Johanna Habel, Juliane Adler, Juliane Meder, Silvia Hollenbach und Leonie Hertlein. Dann übernimmt der SS-Obersturmbannführer Siegfried (Eberhard Meder) zusammen mit seinem Adjutanten Karl (Tobias Weid) und zwei Wachsoldaten (Eugen Wolfarth und Willi Forstmeier) mit zackigen Befehlen die Macht im Ort – zwei scharf gezeichnete Typen, die Angst und Schrecken verbreiten und gegen die die Anderen doch bis fast zum Ende nichts ausrichten können. Selbst der Ortsgruppenleiter hat nun zu gehorchen.

Wehrmachts-Fähnrich Hans (Wolfgang Hess), von Krankenschwester Karin (Janine Boas ) verarztet, mimt geschickt den von seinen Strapazen gezeichneten Verwundeten und verdeutlicht den Zuschauern in seiner Person die Lage des ganzen deutschen Heeres. Schließlich marschiert als letztes Aufgebot auch noch der Volkssturm auf, von sechs älteren Männern (Fritz Wildermann, Hans Beck, Paul Schöller, Walter Ammon, Hermann Meder und Thomas Wilhelm) lebensecht gespielt. Weil die meisten von ihnen das Kriegsende noch aus eigenen Jugendtagen kennen, hatten sie mit der Schilderung ihrer Erlebnisse zu Beginn der Proben den jungen Schauspielern manche Anregung geben können. Ein genialer Regieeinfall markiert schließlich den Übergang zur Nachkriegszeit, in dem wieder neues Leben entsteht und die Menschen doch die alten geblieben sind – eine wenig hoffnungsvolle Beobachtung des Autors.